Dankbarkeit

Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich in einem Retreat. Natürlich nicht vor Ort, denn es herrscht ja immer noch eine weltweite Pandemie. Ich bin in einem Online-Retreat, das von Plum-Village organisiert wird – eine Gemeinschaft, gegründet von meinem Vorbild Thích Nhất Hạnh.

Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich auch achtsam. Und ich bin dankbar für den Tee, der nach Vanille duftend neben dem Laptop auf dem Tisch steht. Schon bei der Zubereitung war ich dankbar: dass wir jederzeit frisches Trinkwasser zur Verfügung haben, ist nicht selbstverständlich.

Ich habe mich auch gefragt, was Dankbarkeit die letzten Jahre für mich bedeutete. Klar, ich schreibe jeden Abend in mein Tagebuch “Ein guter Plan” (unter anderem) mindestens eine Sache, für die ich dankbar bin. Aber fühle ich diese Dankbarkeit auch? Jedes mal? Wirklich?

Dankbarkeit ist nicht einfach. Ich tendiere dazu, Dinge als selbstverständlich wahrzunehmen. Vielleicht tun wir das alle. Weil es einfacher ist. Weil wir uns an die Dinge gewöhnen. Mir immer wieder neu bewusst zu machen, wofür ich dankbar bin, hilft mir, zufriedener und achtsamer zu sein. Meditation ist nur einer der vielen Wege, die dort hin führen können.

Allerdings gibt es auch noch eine andere Seite der Dankbarkeit. Die Dankbarkeit, die ich von anderen erwarte. Die, die nicht heilsam ist.

In den letzten zwei Jahren (aber auch schon lange davor) habe ich viel für andere getan. Manchmal auf bitten, manchmal ungefragt. Das waren teilweise ganz praktische Dinge wie in Wände bohren, Laptops zu reparieren oder mit dem Vermieter zu verhandeln. Ich habe oft auch einfach zugehört, wenn mir liebe Menschen ihr Herz ausgeschüttet haben. Dinge, für die ich anderen sehr dankbar wäre (und bin!).

Und doch zweifle ich nun an meiner Motivation. Ich kann mich nur selten daran erinnern, für all diese Dinge Dankbarkeit erfahren zu haben. Am meisten noch für das offene Ohr, aber für praktische Dinge weniger. Von guten Freund*innen eher, von meiner WG weniger.

Vielleicht habe ich Dankbarkeit aber auch zuhauf erfahren und konnte sie nicht annehmen. Prallt das einfach an mir ab? Und woher kommt der Wunsch, dass Andere mir gegenüber dankbar sind, wenn ich diese Dankbarkeit vielleicht gar nicht annehmen kann? Sollte ich nicht selbstlos für andere da sein, einfach nur weil es mir Freude bereitet? Zeigt das, was ich erwarte, eine Anhaftung an meine eigenen Taten (und damit unyogisch)?

Ja. Ich verliere meine Mitmenschen aus dem Blick, wenn ich für jede meiner Handlungen etwas erwarte. Aus meiner Handlung folgt die Dankbarkeit des/der Anderen – damit degradiere ich die andere Person zum Objekt, welches mir etwas schuldig ist.

Und nein. Ich bin nicht erwacht bzw. erleuchtet. Auch bin ich nicht frei von Ego. Und trotzdem kann ich Dankbarkeit empfinden. Wenn ich mich daran erinnere, warum ich etwas tue, kann ich erkennen, ob ich dafür etwas erwarte. Dies ist ein guter Einstieg in eine achtsame Praxis.

Dankbarkeit zu erwarten ist nicht per se schlecht. Es dient mir als Hinweis, was ich vermisse oder wovor ich Angst habe:

Ich vermisse das Gefühl, angenommen zu sein.

Ich habe Angst davor, ausgenutzt zu werden.

Ich wünsche mir tiefe Verbundenheit zu einem Menschen.

Flo

Flo hat Mental Anarchy 2020 gegründet und schreibt über Polyamorie, Beziehungen und psychische Gesundheit. Er ist pansexuell, Zen-Buddhist und lebt vegan.

2 thoughts on “Dankbarkeit

  1. Lieber Ely.
    Ich finde das hast du sehr treffend beschrieben. Also zumindest kann ich mich darin wiederfinden. Ich merke immer wieder dass ich Dankbarkeit dann spüre, wenn ich für eine Person da sein kann, indem ich zuhöre , da ich dann die von dir erwähnte Verbundenheit spüre. Da denke ich überhaupt nicht darüber nach, Dankbarkeit zu erwarten. In anderen Situationen trifft es mich hingegen schon, wenn ich etwas für jemanden tue und der-/diejenige meine Zeit und Ressourcen als selbstverständlich nimmt und mir nicht das Gefühl vermittelt auch etwas von seiner Zeit und seinen Ressourcen als “Gegenleistung” zu geben. Oft ist es aber auch der Gedanke, dass ich von anderen erwarte, sich zu engagieren, weil nur durch das Prinzip Geben und Nehmen eine wechselseitige Beziehung funktioniert. Wenn ich von vornherein wenig von einer Person erwarte bin ich auch weniger bereit etwas zu geben. Folglich stellt sich wirkliche Dankbarkeit (das reale Fühlen der Dankbarkeit) nur ein, wenn mir eine Person bzw die Interaktion etwas bedeutet. Ich glaube nicht, dass es angebracht ist, jedem Menschen gegenüber selbstlos dankbar sein zu müssen. Und genauso wäre es andersherum unrealistisch von jeder anderen Person, für die wir etwas getan haben, Dankbarkeit zu erwarten.
    Die Gefühle die dahinter stehen, der Wunsch nach Angenommensein, nach Spiegelung eigener Beziehungssehnsucht, die Angst ausgenutzt zu werden, besonders wenn man dachte, dass einen etwas mit einer anderen Person verbindet, kenne und empfinde ich auch. Und du hast recht, dass sie gute Hinweisgeber sind, für eigene (aktuelle) Bedürfnisse. Was/wovon brauche ich gerade mehr? Warum macht es mich besonders traurig, keine Dankbarkeit zu erhalten oder sie selbst zu spüren?

    1. Hej Sabrina,

      den Gedanken, von anderen erwarten, sich zu “engagieren”, kenn ich auch. Und du hast Recht, wir sollten vielleicht wirklich nicht jedem Menschen gegenüber selbstlos dankbar sein. Das ist dann wieder Selbstfürsorge 🙂

      Liebe Grüße!
      Ely

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